Im jungen Alter von sieben Jahren kam Max Wörner durch Zufall zum Klettersport. Was als Familienausflug begann, wurde schnell zu einer leistungsorientierten Passion. Heute ist er Unternehmer und verdient sein Geld über den Dächern der deutschen Stadt Stuttgart.
Fußgänger bleiben stehen und beobachten gebannt die Arbeiter, die hoch über ihren Köpfen an der Fassade hängen. Beinahe jeder stellt sich in dem Moment die Frage, weshalb jemand wohl einen Beruf in diesen Höhenlagen wählt. Als einer von etwa 15.000 Industriekletterern weltweit sorgt der ehemals erfolgreiche Nationalteam-Kletterer dafür, dass schwer zugängliche Fassaden, Dächer oder andere hochgelegene Anlagen mittels Seiltechnik erreichbar werden. Die Faszination der Beobachter bekommt er dabei kaum mit, denn Arbeiten in luftigen Höhen erfordern ein hohes Maß an Konzentration. Trotz der Routine der Industriekletterer, ist doch immer eine Grundanspannung vorhanden, immerhin steht die Sicherheit der Kletterer täglich auf dem Spiel.
Read Whole Article ...
Max Wörner ging noch zur Grundschule, als er das erste Mal ein Seil an einen Klettergurt anbrachte. Sein Vater hatte an jenem Tag die Kletterhalle als Ziel des wöchentlichen Familienausflugs gewählt. Die Faszination für den Sport wuchs schnell und auch der Ehrgeiz ließ nicht lange auf sich warten. Zwei Jahre später folgte bereits der erste Wettkampf und es dauerte nicht lange, bis der junge Kletterer entdeckt wurde; mit 16 Jahren ebnete sich für Wörner der Weg ins deutsche Nationalteam. „Der Sport war mein Ein und Alles“, sagt Wörner über seine Zeit im Leistungssport. Auf deutschlandweite Cups folgten internationale Wettkämpfe rund um den Globus und eine aussichtsreiche Zukunft im Klettersport. Die Wettkampfteilnahme im internationalen Bereich war jedoch ohne das Beisteuern eigener finanzieller Mittel nicht möglich, obwohl bereits sehr früh ein erster Sponsor gefunden worden war und trotz eines umfangreichen Förderprogramms des Deutschen Alpenvereins. „Ich bin sehr dankbar, dass mich meine Eltern unterstützt haben. Außerdem war ich schon immer fleißig und habe mir natürlich durch Ferienjobs einiges selbst leisten können, aber der finanzielle Aspekt war mit Sicherheit am Ende auch ein Grund, weshalb ich den Leistungssport an den Nagel gehängt habe“, schildert Wörner die Schwierigkeiten für Athleten einer Randsportart.
„Klettern ist so viel mehr als nur ein Sport“, beschreibt Wörner seine größte Leidenschaft. Für ihn stand neben der sportlichen Herausforderung der persönliche Aspekt im Vordergrund. Unter den Konkurrenten hatte Wörner sehr viele Freunde, Wettkämpfe waren deshalb auch mit einem erfreulichen Wiedersehen verbunden und er baute über die Jahre hinweg ein Netzwerk an kletterbegeisterten Menschen um sich auf. Sie teilten gemeinsamen Ehrgeiz und die Liebe zu einem Sport, der oft unterschätzt wird. Klettern ist weit mehr als ein lockeres Hinaufsteigen an mehr oder weniger steilen Wänden. Gefordert sind einerseits hervorragende körperliche Fitness und andererseits mentale Stärke und Konzentrationsfähigkeit. Die Athleten sind Extremsportler mit dem Ziel, immer noch höher, noch weiter nach oben zu kommen. Eine gewisse Risikobereitschaft ist somit Grundvoraussetzung für einen Kletterer. Wörner glaubt, dass gerade das den Sport so speziell macht. „Kletterer sind ganz besondere Persönlichkeiten, wir verstehen uns wahrscheinlich deshalb auch so gut untereinander.“ Der Klettersport ist für ihn ein eigener Lifestyle, der offene, selbstbewusste Charaktere mit besonderer Abenteuerlust, Ehrgeiz, Neugierde, der Liebe zur Natur und der Sehnsucht nach einem Freiheitgefühl, das beim Klettern intensiv auftritt, verbindet. Es fiel ihm schwer, den Leistungssport hinter sich zu lassen. Der Wunsch nach einer sicheren beruflichen Zukunft war jedoch groß. „Mit der Vorstellung, nun Automechaniker, Elektrotechniker oder sonst irgendetwas zu werden, konnte ich mich einfach nicht anfreunden“, berichtet er. Probiert hatte er im Rahmen von Praktika einiges, nichts brachte ihm jedoch den Spaß, den er an der Vertikalen fand. Und so setzte Wörner den einzig für ihn logischen Schritt: er blieb seiner Leidenschaft, wenn auch in abgewandter Form, treu und machte Industrieklettern zu seinem Beruf.
Max Wörner wagte mit nur 18 Jahren den mutigen Schritt in die Selbständigkeit und hat diesen bis heute nicht bereut. „Es half natürlich, dass ich als Extremsportler ohnehin risikobereit bin und ich wusste durchaus, auf was ich mich einlasse“, schildert Wörner das kalkulierte Risiko des frühen Weges in die berufliche Unabhängigkeit. Seine vielzähligen Kontakte in die Kletterszene aus der Leistungssport-Vergangenheit gaben ihm in der Anfangszeit Sicherheit, denn aus diesem Kreis kamen viele Anfragen. „Zu Beginn bekam ich einige Aufträge im Routenbau“, erzählt Wörner. Als Routensetzer ist keine Ausbildung nötig, es muss lediglich ein Gewerbe angemeldet werden. Der sportliche Ehrgeiz ließ Wörner aber auch im beruflichen Alltag nicht los. Er absolvierte den Lehrgang für Wettkampfschrauber beim Alpenverein und avancierte mit der Lizenz in der Tasche schnell zum deutschen Chefroutensetzer. „Durch die vielen Kontakte und das tolle Netzwerk im Klettersport hatte ich immer genügend Anfragen“, beschreibt Wörner seine damalige Auftragslage. Heute sieht sich Wörner als Unternehmer im Industrieklettern als beinahe konkurrenzlos. „Mir sind auch jetzt der Lifestyle und die Freundschaftlichkeit noch immer sehr wichtig“, betont Wörner. Der persönliche Kundenzugang sowie der besondere Ehrgeiz, den er noch aus Zeiten des Leistungssports innehat, bescheren ihm ein durchweg positives Feedback seiner Auftraggeber. Zusammen mit einem Team aus Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen hat er seinen täglichen Arbeitsplatz über den Dächern Stuttgarts. „Natürlich muss ich als Unternehmer auch administrative Arbeiten erledigen und Aufträge am Schreibtisch bearbeiten, aber zehn bis zwölf Stunden täglich verbringe ich auf der Baustelle“, beschreibt Wörner einen normalen Arbeitstag als Industriekletterer.
Angst ist für ihn dabei kein Thema. Er betont, dass Respekt jedoch immer vorhanden und auch immens wichtig ist. „Jeden Tag mache ich die Materialkontrolle und Gefährdungsbeurteilung. Dabei sind keine Fehler erlaubt und es hilft schon, wenn eine gewisse Anspannung vorhanden ist“, sagt Wörner. Beim Industrieklettern hat Sicherheit oberste Priorität; deshalb sind die Berufskletterer doppelt gesichert, während im Leistungssport das Gewicht des Materials maximal verringert und daher nur einfach gesichert wird. „Angst haben eigentlich nur jene Menschen, die nicht wissen, was wir in diesen Höhen machen“, erzählt Wörner von einem Vorfall, als Passanten die Polizei riefen, weil sie glaubten, dass sich jemand vom Dach stürzen wollte. Industrieklettern ist kein bekannter oder weit verbreiteter Beruf, die Faszination anderer kann Wörner deshalb verstehen. Für ihn selbst hat sein Beruf nach knapp 10 Jahren nicht an Faszination verloren. Trotz Routine schätzt er die abwechslungsreichen Tätigkeiten sehr und ist überzeugt, dass Industrieklettern nie langweilig sein kann. Und sogar im Urlaub ist Wörner immer noch mit Kletterschuhen unterwegs. „Der Drang ist mit der Zeit weniger geworden, aber ich liebe den Lifestyle des Kletterns immer noch sehr und gehe daher gerne auch im Urlaub noch in die Kletterhalle“.
Der Blick in die Zukunft ist für ihn sehr aussichtsreich. Eine gute Auftragslage und Spaß an der Arbeit lassen ihn entspannt nach vorne blicken. Auf die Frage, ob man bis zur Pensionierung in schwindeligen Höhen tätig sein kann, antwortet Wörner, dass es zumindest sein Ziel sei, so lange wie möglich am Seil zu arbeiten. „Der Beruf ist allerdings sehr fordernd und sowohl körperliche als auch mentale Stärke sind unerlässlich“, sagt Wörner, weshalb er sich gut vorstellen kann später mehr der Projektplanung zu widmen. Eines ist allerdings klar: Dem Klettern - egal ob als Sport oder im beruflichen Alltag - wird er ein Leben lang treu bleiben.